TAG 66

Für meinen Vater

Ich werd oft gefragt:
„Hey wie machst du das nur, dass du Ziele erreichst?“
Und ich sag: „Wenn du diese zwei Schritte befolgst ist es eigentlich leicht und geht wie von allein.“

Schritt 1
Ich mal mir ’nen Pfad mit einem Ziel auf einer Landkarte, die es nicht gibt. Oder nur, wenn im Kopf und mit viel Fantasie einer Wände durchbricht oder Häuser verschiebt.

Schritt 2
Ich geh aus der Tür. Ich balancier. Ich schaue nach links.
Ich lauf und ich spring durch die Stadt übern Teich.
Durch die Nacht. Ist ganz leicht.
Die Luft ist so klar und schon bin ich da.

Der Bus fährt um 9 mich in den Abend.
Ich komme Heim, wo du mich erwartest.
„Willkommen zurück. Na, wie war dein Tag?“
Wir sitzen am Tisch. Als ich dir sag:
„Papa, ich ging durch die Tür und ich bin balanciert.
Dann schaute ich nach links zum Laufen und Springen.
Durch die Stadt übern Teich. Durch die Nacht. War ganz leicht.
Die Luft war so klar und dann war ich schon da.“

Deine Augen erleuchten. Du sagt nur, du freust dich.
Ich weiß, dass du stolz bist. Nur nicht, was das bedeutet.
Denn da fehlt ein Detail. Und jetzt erst begreife ich,
du warst immer Schritt 3. Und so lief alles eigentlich.

Ich geh aus der Tür, aber was ich nicht seh´,
ist dass du über mir noch die Steine der Mauern so umarrangierst,
bis die harte Fassade zum Durchgang mutiert.
Ich balancier und du machst alles still
als ich mich konzentrier für den Drahtseilakt,
doch mir kann nichts passieren,
denn du hältst für den Fall schon das Netz unter mir.
Ich laufe und spring und ich denk, ich kann fliegen,
doch du machst den Wind und ich heb meine Füße und mit jedem Schritt baust du unter mir Stufen, wo sonst keine sind.
Ich schaue nach links, doch rechts von mir stehst du inmitten der Straße und bittest die Autos mit zitternden Fahnen nur kurz für dein Kind noch ein bisschen zu warten.
Durch die Stadt übern Teich und du schüttest im Dauerlauf Täler auf, reist alle Wände ein, hältst mir den Rücken frei.
Du stellst an Flüssen mir Brücken an Klippen mir Mauern auf.
Durch die Nacht ist ganz leicht. Ja, weil du mir voraus mit nem Feuerzeug leuchtest, was mich sehr erfreut, weil ich denk,
dass bedeutet nur dass ich einer Horde von Glühwürmchen folge.
Die Luft ist so klar. Ja, kein Wunder, du hast hier Gewitter entladen, bevor ich hier her kam noch Wolken verjagt, denn sonst läg mir der Atem jetzt bitter im Magen.

Und dann bin ich da an einem Ziel auf einer Landkarte,
die es nur gibt, wenn so einer wie du mit genug Fantasie alle Wände durchbricht und die Häuser verschiebt.

Ich hab immer geglaubt, oh, das Glück fliegt mir zu.
Aber rückwärts geschaut, warst das Glück immer du.

Du warst all die Zeit dieser Anker für mich
und ich will nur, dass du weißt, ich bin dankbar für dich.
Ich schaue auf meinen Wegen nicht oft übern Wegesrand.
Doch ich verstehe, dass ich übersehen hab, dass ich mein Leben nicht ohne dich leben kann und es bewegt mich, was du mir gegeben hast.
Denn, wenn ich was erreiche, dann trommel ich laut.
Ich rufe: „Los, hebt eure Hände auf mich!“.
Aber du, du bleibst leise.
Du machst dir nichts draus, denn dein Lob ist das Glück aller Menschen um dich.
Und ich sag dir zu selten, „Ja, ich bin glücklich“.
Und das liegt auch an dir und ich hoffe, du auch.
Die Welt wird so schnell. Das ist alles so flüchtig,
doch ich finde in mir nur durch dich mein Zuhause.

Wenn jetzt einer fragt:
„Hey wie machst du das nur, dass du Ziele erreichst?“
Sag ich: „Auch wenn du all meine Schritte befolgst bleibt der wichtigste Schritt noch, es geht nicht alleine“
Bitte verzeih, dass ich jetzt erst verstehe.
Ich glaube, es war einfach oft viel zu neblig.
Nun ist es klar und egal, wie es war.
Ist dass heute der Tag dir zu sagen, ich sehe dich.

Ich hab immer geglaubt all das Glück fliegt mir zu.
Aber rückwärts geschaut, warst das Glück immer du.

Julia Engelmann

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